Frauen in der Wissenschaft sind auch in Deutschland nach wie vor unterrepräsentiert. Mit einem Anteil von gerade einmal 28% an weiblichen Wissenschaftlerinnen liegt Deutschland noch unter dem weltweiten Schnitt und bildet mit Platz 38 von 41 eines der Schlusslichter im europäischen Ländervergleich. Dass die Arbeit in der Wissenschaft eine spannende Karriere bieten kann und wieso mehr Frauen den Schritt in die Wissenschaft wagen sollten, erzählen Mijka Ghorbani und Kim Hartmann, die nach ihrem Abschluss an der ISM aktuell zur digitalen Markenpersönlichkeit und zum Markenmanagement im Tourismus an der University of Strathclyde promovieren.


Was hat euch dazu motiviert, nach dem Bachelor- und Masterabschluss noch zu promovieren?

Kim Hartmann: Ein früher Schlüsselmoment war meine beeindruckende Tourismus-Professorin (Prof. Dr. Pamela Heise) während des Bachelorstudiums. Damals dachte ich mir: „Wie schafft man es, andere Menschen so für ein Thema und die Vorlesungen zu begeistern?“ Somit war der weitentfernte Traum, selbst einmal Professorin zu werden, geboren. Dafür ist eine Promotion unabdinglich. Im Masterstudium hat mich dann einer meiner Professoren (Tourismus-Koryphäe Prof. Dr. Adrian von Dörnberg) auf die Möglichkeit einer Promotion angesprochen und mich dazu ermutigt. Als „First Generation“-Studentin war ich zuerst skeptisch, ob das der richtige nächste Schritt für mich ist. Letztlich hatte ich aber Lust auf eine weitere Herausforderung und als sich die Chance auf die Lehrposition an der ISM mit begleitender Promotion ergab, habe ich nicht lange gezögert.

Mijka Ghorbani: Die Idee, eigenständig zu forschen, hat mich schon früh begeistert. Ich hatte schon immer Spaß an wissenschaftlicher Arbeit und die Erfahrungen mit der Masterthesis haben mich in dem Entschluss bestärkt, eine wissenschaftliche Laufbahn anzustreben.




Mich fasziniert die Idee, dass Menschen dazu neigen, Marken zu personifizieren und zu ihnen Beziehungen aufzubauen.

Mijka Ghorbani, Doktorandin und Beraterin in einer Marketing- und Werbeagentur



In welchem Forschungsbereich seid ihr tätig und was begeistert euch daran besonders?

Kim Hartmann: Bisher sind meine Forschungsprojekte in den Bereichen Marketing, Konsumentenverhalten und/oder Tourismus angesiedelt. Der Fokus meiner Promotion liegt auf dem Markenmanagement im Tourismus und verbindet die Themen, die mich auch auf meinem bisherigen Karriereweg begleitet haben. Ich finde es spannend, wie (potenzielle) Reisende ihre Entscheidungen treffen und zwischen der Vielzahl an Optionen abwägen. Die Haupturlaubsreise ist für viele Menschen die schönste Zeit im Jahr, weshalb damit verbundene Entscheidungen noch viel emotionaler und persönlicher sind als in anderen Konsumkontexten.

Mijka Ghorbani: Ich promoviere zum Thema digitale Markenpersönlichkeit, das bewegt sich an einer Art Schnittstelle von Markenführung, Konsumentenverhalten und Psychologie. Mich fasziniert die Idee, dass Menschen dazu neigen, Marken zu personifizieren und zu ihnen Beziehungen aufzubauen, die zwischenmenschlichen Bindungen wie zum Beispiel Freundschaften sehr ähnlich sind. In meiner Forschung geht es schwerpunktmäßig darum, wie neue Technologien und digitale Touchpoints die Wahrnehmung von Marken als Persönlichkeiten und damit auch als Beziehungspartner beeinflussen können.


Wie hat euer Umfeld darauf reagiert, dass ihr nach dem Bachelor- und Masterabschluss noch promoviert?

Mijka Ghorbani: Mein Umfeld und besonders meine Familie hat mich von Anfang an bei diesem Schritt unterstützt.

Kim Hartmann: Die meisten haben nur gelacht und gefragt, ob ich wirklich noch mehr Abschlüsse brauche. Ich habe jedoch einen Tipp an alle, in deren Umfeld jemand promoviert und die dieses Interview lesen. Bitte spart euch DIE EINE Frage: „Wann bist du mit der Promotion fertig?“. Wenn wir fertig sind, erfahrt ihr es als erstes und über alle Kanäle – versprochen!



Zweifel sind - insbesondere in der Wissenschaft - stetige Begleiter.

Kim Hartmann, Doktorandin und Lehrbeauftragte für Tourismusmanagement und Marketing an der ISM München



Was waren die bisher größten Herausforderungen auf dem Weg zum Doktortitel?

Kim Hartmann: Die bisher größte Herausforderung war sicherlich die Vereinbarkeit von Job und berufsbegleitender Promotion. Selbst bei einem – auf dem Papier - themennahen Beruf wie der Lehre, bedarf es klarer Grenzen und gutem Zeitmanagement. Diese Balance musste ich für mich erst einmal finden und aktiv lernen, dass auch kleine Fortschritte einen erheblichen Beitrag zum Endergebnis leisten. Einen ähnlichen Lernprozess durchlief ich bei meinen ersten promotionsbezogenen Status Reviews, da wirklich jeder Vorschlag und jedes Zwischenergebnis stets mit der klassischen „So what?“-Frage konfrontiert wird. Inzwischen habe ich jedoch Gefallen daran gefunden und nehme vieles mit Humor. Diese Strategie wurde erst letztens in einem der regelmäßig stattfindenden Forschungsseminare an der University of Strathclyde empfohlen und erscheint mir als ein Erfolgsrezept, um in der Wissenschaft zu überleben.

Mijka Ghorbani: Grundsätzlich ist man bei einer Promotion mehr auf sich allein gestellt. Im Gegensatz zu einem Bachelor- oder Masterstudium gibt es nicht die regelmäßigen Vorlesungen oder den täglichen Austausch mit anderen Studierenden. Erschwert zudem auch durch die Pandemie. Inhaltlich war die bisher größte Herausforderung, das Thema und dann konkrete Forschungsfragen zu definieren. Das Forschungsgebiet war für mich zwar von Anfang an klar, es ist dennoch herausfordernd, eine Forschungslücke zu identifizieren, die nicht zu klein, aber auch nicht zu groß ist.


Habt ihr zwischenzeitlich auch mal an eurer Entscheidung, in die Wissenschaft zu gehen, gezweifelt?

Mijka Ghorbani: Bislang habe ich das nicht. Natürlich gibt es Tage, an denen es Rückschläge gibt oder mal nicht so gut läuft, aber das ist ja in jedem Job so.

Kim Hartmann: Zweifel sind – insbesondere in der Wissenschaft - stetige Begleiter. Jede Veröffentlichung und erst recht ein umfangreiches und zeitintensives Projekt wie eine Promotion besteht aus kontinuierlichen Höhen und Tiefen. Meines Erachtens ist der Zweifel jedoch essenzieller Bestandteil der Wissenschaft. „Wissen (er)schaffen“, ohne den Status Quo und eben auch eigene Erkenntnisse oder Überzeugungen kontinuierlich zu hinterfragen, ist unmöglich und hat auch wenig mit Forschung zu tun. Nicht umsonst geht es im Kern darum, Annahmen zu widerlegen und nicht darum, sie zu beweisen.


Gab es Situationen, in denen ihr als Frauen in der Wissenschaft anders behandelt wurdet oder in denen das Geschlecht ein Thema war?

Mijka Ghorbani: Nein, das ist mir nie passiert.

Kim Hartmann: Ich habe den Eindruck, dass ich mit meinem direkten Umfeld großes Glück habe. Das ist leider noch immer nicht selbstverständlich, wenn ich überlege, über welche Vorkommnisse ich in diversen Doktoranden-Netzwerken höre und lese. Besonders starke Doppelstandards erlebe ich nicht. Jedoch bin auch ich mit Situationen konfrontiert, in denen bspw. Mansplaining betrieben wird, in größerer Runde unnötigerweise mein Outfit oder meine Optik kommentiert wird oder in denen ich explizit auf meinen minderwertigen Rang hingewiesen werde, da ich ja „noch nicht Professorin [bin]“. Erfreulicherweise sind diese Punkte jedoch in meiner täglichen Arbeit mit den Studierenden nie ein Thema, was mir Hoffnung für die nächste Generation von Forschenden gibt.




Da die personelle Zusammensetzung der Wissenschaft noch immer sehr unausgeglichene Stereotype bedient, ist jede diversere Perspektive in Forschung und Lehre ein Gewinn.

Kim Hartmann, Doktorandin und Lehrbeauftragte für Tourismusmanagement und Marketing an der ISM München



Was ist aus eurer Sicht der Grund für den noch immer sehr geringen Frauenanteil in der Wissenschaft?

Kim Hartmann: Zum einen befürchte ich, dass hier ein klassisches Henne-Ei-Problem vorliegt. Es sind nur zwei Professorinnen, an die ich mich im Rahmen meines Studiums aktiv und positiv erinnere, somit gab es kaum weibliche Vorbilder. Ich habe jedoch den Eindruck, dass sich hier aktuell sehr viel tut, u.a. durch Förderprogramme an deutschen Hochschulen. Zum anderen dauern akademische Karrieren (insbesondere im universitären Umfeld) einfach ihre Zeit und die ersten Jahre müssen oft in geringbezahlten und befristeten Arbeitsverhältnissen mit unsicheren Entwicklungsperspektiven und starren Hierarchien bestritten werden. Ich kann jede Person verstehen, die sich mit Ende 20 statt für eine mehrjährige Promotion mit ungewissem Ausgang lieber für einen gutbezahlten Job in der Wirtschaft entscheidet.

Mijka Ghorbani: Ich glaube, es gibt in der Wissenschaft wie in vielen gesellschaftlichen Bereichen noch traditionelle Rollenbilder, die auch nicht über Nacht verschwinden werden. Aber das liegt größtenteils nicht an fehlenden Rahmenbedingungen oder Möglichkeiten. In unserem Marketing-Department an der Strathclyde ist das Verhältnis zum Beispiel sehr ausgeglichen.


Warum würdet ihr mehr Frauen dazu raten, den Weg in die Wissenschaft zu gehen?

Kim Hartmann: Begriffe wie „Professoren“ und „Forscher“ sind leider nach wie vor sehr männlich, alt und weiß assoziiert. Auch wenn das Gendern sicherlich einen kleinen Beitrag schafft (und sich selbst dabei schon einige auf den Schlips getreten fühlen), geht es doch vor allem um eines: representation matters. Da die personelle Zusammensetzung der Wissenschaft noch immer sehr unausgeglichene Stereotype bedient, ist jede diversere Perspektive in Forschung und Lehre ein Gewinn. Und ganz selbstlos gesagt: Ich freue mich auf mehr Frauenpower in der Wissenschaft.

Mijka Ghorbani: Ich glaube, am Ende ist es eine Frage der Persönlichkeit und ob man sich nachhaltig für die wissenschaftliche Arbeit begeistern kann. Wer das tut, sollte es meiner Meinung nach auch versuchen, ganz unabhängig vom Geschlecht.


Welche Tipps würdet ihr anderen Frauen mit auf den Weg geben, die vor der Entscheidung stehen, in die Wissenschaft zu gehen?

Mijka Ghorbani: Es ist immer hilfreich, sich mit anderen Studierenden im gleichen Programm auszutauschen, die bereits ein Stückchen weiter sind. Dabei erfährt man viel zu Seminaren, Review-Verfahren usw. Man sollte sich auch klarmachen, dass die Promotion ein Lernprozess ist. Man wird ja praktisch zur Forscherin oder zum Forscher ausgebildet. Es ist also ganz normal, wenn man nicht auf Anhieb alle Theorien, Methoden etc. perfekt beherrscht. Viel wichtiger ist es, immer weiter dazuzulernen und gedanklich offen für Neues zu bleiben.

Kim Hartmann: Traut euch die Wissenschaft zu. Sie braucht eure Perspektive, um zukunftsfähig zu sein.


Liebe Mijka, liebe Kim, vielen Dank für die interessanten Einblicke in eure Wissenschaftsarbeit und viel Erfolg auf eurem weiteren Weg zum Doktortitel.




Zur Person

Mijka Ghorbani hat sich nach ihrem Masterabschluss in Strategic Marketing Management an der ISM für das Promotionsprogramm der ISM in Kooperation mit der University of Strathclyde entschieden. Aktuell arbeitet sie an ihrer ersten empirischen Studie zum Thema digitale Markenpersönlichkeit. Als Beraterin in einer Marketing- und Werbeagentur sammelt sie parallel praktische Berufserfahrung.

Kim Hartmann ist nach ihrem Bachelorabschluss in Tourism & Event Management an der ISM zunächst als Projektmanagerin in einer Marketingagentur eingestiegen. Nach einem Wechsel in die Tourismusbranche, einem Master in International Tourism Management und einem MBA promoviert sie berufsbegleitend an der University of Strathclyde und ist seit 2018 als Lehrkraft für besondere Aufgaben an der ISM München tätig. Durch die Lehre und Betreuung der ISM-Studierenden möchte sie vor allem ihre Leidenschaft für Tourismus- und Marketingthemen an junge Nachwuchskräfte weitergeben.




Quelle: UNESCO Institute for Statistics (UIS), Women in Science 2019, FS/2019/SCI/55